Netzausbau für Fortgeschrittene

1. Undurchsichtiges Datendickicht

Der Netzbetreiber 50Hertz hat kürzlich den Antrag auf Planfeststellung für Abschnitt B des SüdOstLink bei der Bundesnetzagentur eingereicht. Dieser Antrag wurde gemäß §21 Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG) vom 19. Juni bis 18. Juli auf der Internetseite der BNetzA veröffentlicht. Die dort hinterlegten Daten haben einen Umfang von mehr als 38 GB in gepackter Form. Sie enthalten sowohl Texte im pdf-Format als auch Karten und Pläne als Vektor pdf. die allerdings keine geografischen Informationen enthalten, was die Interpretation der Daten erschwert. Wer keine Vorkenntnisse über geografische Informationssysteme hat, steht dieser Datenflut ohnehin hilflos gegenüber. Selbst Behörden als Träger öffentlicher Belange können die Daten nicht im erforderlichen Maß auswerten, selbst wenn genügend personelle und technische Ressourcen dafür zur Verfügung ständen. Die Erfahrungen des Bürgers in letzterem Punkt sind jedoch andere. Öffentliche Institutionen sind entweder tatsächlich personell unterbesetzt oder müssen sich ständig mit „wichtigeren Dingen“ befassen, die bei näherer Betrachtung oft genug wenig Sinn ergeben.

Rein formell hat der Netzbetreiber mit der Veröffentlichung der Projektdaten seine Schuldigkeit getan. Inhaltlich ist damit wenig anzufangen. Dies muss vor allem deshalb sehr kritisch betrachtet werden, weil die einzelnen Dokumente im Rahmen der Planfeststellung verbindlichen Charakter besitzen, sobald die BNetzA sie genehmigt hat.

2. Direkt Betroffene

Die Bürger des Saale-Holzland-Kreises sind von der HGÜ-Leitung SüdOstLink direkt betroffen. Die Trassenführung durchquert auf einer Länge von mehreren Kilometern geschlossenen, gesunden Wald. Dieser Fakt hat drei Bürgerinitiativen (BiH Bürgerinitiative Holzland e.V. Hermsdorf, Bürgerinitiative proholzlandwald e.V. Tautenhain und Bürgerinitiative „Unser Holzland – kein Windkraftland“ St. Gangloff) dazu bewogen, das Projekt in diesem Punkt kritisch zu hinterfragen. Allerdings beließen es die BIs nicht bei der Kritik. Sie unterbreiteten dem zukünftigen Betreiber 50Hertz einen Vorschlag für eine alternative Trassenführung mit geringeren ökologischen Auswirkungen. Der Kreistag des Saale-Holzland-Kreises fällte in seiner letzten Sitzung am 28. Juni 2023 einen Beschluss, der diese Alternative ausdrücklich befürwortet. Aufgrund der Intervention der BIs wird der Kreistag zudem eine entsprechende Stellungnahme, gemäß §9 Abs. 2 NABEG erarbeiten und im Rahmen des Anhörungsverfahrens einreichen.

Darüber hinaus haben Vertreter der BIs mit dem Bauamt und der unteren Naturschutzbehörde Gespräche geführt. Ziel dieser Aussprachen war die Prüfung, ob und in welchem Umfang der Landkreis über die genannten Ämter die Planung bzw. die spätere Baudurchführung begleitet. Die Antworten der beiden Ämter waren überraschend. So wurde der unteren Naturschutzbehörde die Zuständigkeit für das Vorhaben SüdOstLink entzogen. Für die Bauüberwachung wurde durch die obere Naturschutzbehörde ein Ingenieurbüro beauftragt. Das Umweltamt als untere Naturschutzbehörde darf zu dem Vorhaben keine Stellung mehr nehmen, hat aber immerhin Einsicht in die Protokolle der Bauüberwachung. Diese Protokolle sind allerdings nicht allgemein zugänglich, obwohl sie, insbesondere in Anbetracht der Aktivitäten der BIs, von hohem öffentlichen Interesse sein könnten.

3. Unsere nähere Sichtung der Projektunterlagen

Wir – Team Orangebuch – haben mit hohem Zeitaufwand in den 38 GB Projektdaten ein interessantes, zur Problematik passendes Dokument mit dem Titel „Technische Angaben zum Vorhaben“ gefunden. Nennen wir es im Folgenden der Übersichtlichkeit halber DokA. Auf die Verbindlichkeit der Planfeststellung haben wir bereits hingewiesen. Verbindlich heißt konkret, dass keine wesentlichen Abweichungen zu den in den Texten (also auch DokA) beschriebenen Verfahrensweisen oder spätere inhaltliche Änderungen toleriert werden.

DokA nennt lediglich zwei Verlegeverfahren; die offene Verlegung (offene Bauweise) und die geschlossene Bauweise. Sofern laufende Einsprüche ins Leere laufen, wird dieses Verlegeschema also praktisch realisiert. Laut DIN 4124 gibt es jedoch weitere Verfahren, die in DokA von vornherein ausgeschlossen werden. Auch in allgemeiner gehaltenen Schriftstücken der BNetzA und der Netzbetreiber selbst, die nicht Bestandteil der Projektunterlagen Südostlink B sind, finden sich Hinweise auf alternative Verlegemethoden für Erdkabel. U.a. wird die halboffene Bauweise durch Einpflügen beschrieben.

Bildlich dargestellter Stand der Dinge ist die Grafik aus DokA, S. 22 oben.

Zitat DokA aus 1.4.1.2:

Der Schutzstreifen reicht von der äußeren Außenkante des KSR (Anm.: KSR=Kabelschutzrohr) aus konstant 3 m nach außen. Bei einem Leiterabstand von 1,5 m und einem Systemabstand von 8 m beträgt die Schutzstreifenbreite im Bereich der offenen Verlegung 16 m.

Verbindlich festgelegt werden demnach:

Ein Leiterabstand von 1,5 m, der sich durch die entstehende Abwärme des Kabels technisch begründen lässt.

Zitat DokA aus 1.2.1.4:

Die Kabel werden innerhalb eines Systems bei offener Bauweise im Regelfall mit einem Leiterabstand von 1,5 m verlegt, diese ergeben sich auf der Basis einer Auslegungsberechnung auf der Grundlage der gemessenen Wärmeleitfähigkeiten.

Ohne nähere Begründung bleibt hingegen der großzügig gewählte Abstand zwischen den Leiterpaaren von 8 Metern. In der Summe ergibt sich daraus eine Trassenbreite von 16 Metern.

4. Fragen und Vermutungen

Wir als Team Orangebuch erlauben uns die berechtigte Frage, warum die Trasse nicht in äquidistanter Verlegung (ausführlicher hier) der insgesamt 4 Kabel und einer daraus resultierenden Trassenbreite von nur 11 m geplant wurde. Bei einer Gesamtlänge der Trasse von 521 Kilometer ergäbe sich durch die aktuelle Planung ein zusätzlicher Flächenverbrauch von mindestens (16-11) m * 521.000 m = 2.605.000 m² = 260,5 ha.

Wird hier aus Gedankenlosigkeit gehandelt? Haben die Ingenieure in ihrer Planung versagt? Oder aus Bequemlichkeit, weil betriebswirtschaftliche Erwägungen ein weiteres Mal den Sieg über ökologische Betrachtungen davon getragen haben? Stichwort hierzu die 8 Meter breite mittig liegende Baustraße…

Oder werden hier Flächen gar „vorsorglich“ bereit gestellt, was für den Saale-Holzland-Kreis konkret die „vorsorgliche Vernichtung“ von zwei Hektar gesunden Waldes bedeutet?

Unter 1.4.1 Schutzstreifen in DokA gibt 50Hertz Folgendes zu Protokoll:

Zum Schutz der Erdkabel vor Eingriffen Dritter erfolgt der grundbuchrechtliche Eintrag eines Schutzstreifens. Der Schutzstreifen umfasst i. W. den Bereich oberhalb der Trasse. Dieser stellt eine aufgrund des erdverlegten Kabels dauerhaft rechtlich zu sichernde Fläche dar, welche für Wartungsmaßnahmen sowie den sicheren Betrieb des Erdkabels und der zugehörigen Nebenbauwerke erforderlich wird.

Wenn man rechtssicher Grund und Boden erwirbt, kann man damit später ohne aufwändige Genehmigungsverfahren bezüglich des Naturschutzes weitere Geschäftsideen umsetzen. Naheliegend ist die Vermutung, dass man zwischen den beiden Kabelpaaren bei Bedarf mindestens ein weiteres verlegen könnte. Offiziell gibt es eine solche Planung natürlich nicht.

5. Der Kreis schließt sich

Auf der Informationsveranstaltung vom 20.04.2023 in Hermsdorf, in der u.a. die Trassen-Alternative der BIs diskutiert wurde, ließ sich der verantwortliche leitende Ingenieur von 50Hertz zu folgendem Statement (wörtlich) hinreißen:

Wir sind der Meinung, dass unser optimierter Trassenvorschlag für uns am besten ist.

Ein sinnvoller Dialog ist unter diesen Umständen unmöglich. Der 50Hertz Vertreter in seiner Verantwortlichkeit für Netzprojektentwicklung handelt im Sinne seines Auftraggebers betriebswirtschaftlich völlig korrekt. Es war schließlich seine Aufgabe, einen technisch und ökonomisch „besten Trassenvorschlag“ zu planen. Weicht er von den von der Chefetage vorgebenen Parametern ab, riskiert er seinen Job. Ob in diesen Parametern der Beweggrund einer späteren „unbürokratischen“ Trassenerweiterung enthalten ist? Diese Frage kann nur 50Hertz selbst oder die BNetzA beantworten. Wir erlauben uns, sie hier explizit zu stellen und erbitten schnellstmöglich eine Antwort darauf, zumal diese Antwort Auswirkungen auf alle aktuellen und zukünftigen Trassenplanungen haben könnte.

Wir haben durchaus Verständnis für vorausschauende Planung, auch wenn wir das Konzept der Kupferplatte zur Gewährleistung innereuropäischen Stromhandels an sich für einen strategischen Irrweg halten, zumal die Endverbraucher mit ständig steigenden Netzentgelten dafür bezahlen müssen.

Kein Verständnis haben wir hingegen für die allgegenwärtige, demokratiegefährdende Hinterzimmerpolitik, die uns Bürgern Transparenz vorgaukelt, indem man nahezu unbrauchbare Datenbestände bereitstellt, wichtige Fakten und Motivationen aber verschweigt.

Im Falle des Südostlinks im Bereich Saale-Holzland-Kreis heißt das konkret: Ohne das Wissen über die Option einer Trassenerweiterung, sprich einer entsprechenden öffentlichen Bestätigung, gibt es aus unserer Sicht keine Begründung für den von 50Hertz geplanten Trassenverlauf. Der alternative Trassenvorschlag der BIs wäre damit freilich vom Tisch. Diese haben u.a. empfohlen, eine fünf Meter breite befestigte Forststraße als Kabeltrasse zu nutzen. Eine 16 Meter breite, ausbaufähige Trasse ließe sich dort tatsächlich nicht realisieren.

6. Fazit

Bäume filtern das Treibhausgas Kohlendioxid aus der Atmosphäre. Durch Photosynthese wandeln sie es in lebensnotwendigen Sauerstoff um und halten die Luft rein. Der Erhalt unserer Wälder ist also existenziell, um unser Klima zu schützen. Haben das die Betriebswirtschaftler immer noch nicht begriffen? Ist die schwarze Zahl unten rechts in euren Excel-Tabellen wichtiger als die Minderung (von Abwendung kann längst nicht mehr die Rede sein) künftiger Katastrophen? Wälder brennen, Gebirgsbäche werden zu reißenden Strömen, andere Landstriche leiden unter anhaltenden Dürren. Wenn wir der Natur weiter schaden wie bisher, werden auch die Zahlen in euren Excel-Tabellen nach tiefrot mutieren – und das sehr bald.

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